BM-2010-3-Editorial
Großes Potenzial für neue Therapieprinzipien
Prof. Dr. Alf Hamann
Director Director Research Center ImmunoSciences,
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte
Ohne unser Immunsystem könnten wir, auch in Zeiten vielfältiger Antibiotika, nicht überleben. Die hocheffizienten Abwehrmechanismen schützen uns mit Killerzellen und hochtoxischen Antikörpern zuverlässig vor Infektionen.
Dabei muss das Immunsystem das Kunststück vollbringen, effektive Abwehr von Krankheitserregern mit einer Tolerierung der eigenen Organe zu verbinden – denn diese könnten prinzipiell in gleicher Weise von den Zellen des Immunsystems attackiert werden. Damit dies nicht geschieht, hat die Evolution Kontrollmechanismen etabliert. Versagt die immunologische Balance, entstehen Autoimmunerkrankungen, wie Rheuma, juveniler Diabetes, Multiple Sklerose, oder entzündliche Erkrankungen des Darms, Allergien oder Asthma. Auch an der langfristigen Zerstörung transplantierter Organe ist das Immunsystem schuld.
Diese chronischen, immunbedingten Erkrankungen treten häufig auf und verursachen individuelles Leid, Behinderungen und vorzeitigen Tod. Darüber hinaus führen sie zu hohen Belastungen des Gesundheitssystems.
Derzeitige Standardtherapien erreichen nur eine vorübergehende, unspezifische Suppression des gesamten Immunsystems. Eine Heilung ist in den seltensten Fällen möglich. Dazu sind Nebenwirkungen inklusive erhöhter Anfälligkeit für Infekte in Kauf zu nehmen. Dies gilt auch für die modernen Biologika, die Signalmoleküle des Immunsystems blockieren.
So hat zwar die anti-TNF-Antikörper-Therapie für Rheumatiker erhebliche Fortschritte, aber noch immer keine dauerhafte Heilung gebracht. Die Langzeitbehandlung hat sich zu einem beträchtlichen Kostenfaktor im Gesundheitssystem entwickelt. So wurden in Deutschland im Jahre 2006 zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis 108 Millionen Euro allein für TNFInhibitoren
ausgegeben.
Immuntherapien, die auf die Wiederherstellung der immunologischen Toleranz abzielen, versprechen demgegenüber zum ersten Mal Heilung (siehe Artikel von F. Hiepe und Kollegen in diesem Heft). Ihre Anwendung würde eine enorme Senkung der Kosten für das Gesundheitssystem bedeuten, selbst wenn auch hier nicht jeder Patient auf eine bestimmte Therapieform ansprechen wird.
Das Interessante an immunologischen Therapiekonzepten ist ihr Potential für eine breite Anwendbarkeit: Eine Wiederherstellung immunologischer Toleranz könnte nicht nur Patienten mit Lupus Heilung bringen, sondern auch bei Multipler Sklerose, Darmentzündung oder Asthma erfolgreich sein.
Anstrengungen zur Entwicklung neuer Therapieoptionen und damit verbesserter Lebensqualität für Patienten mit immunbedingten Erkrankungen sind daher dringend erforderlich und versprechen breiten gesundheitspolitischen und ökonomischen Nutzen.
Mit diesem Heft soll auf die vielfältigen Forschungsaktivitäten zu diesem Thema in Berlin hingewiesen werden. Tatsächlich hat sich Berlin zu einem der bedeutendsten Forschungsstandorte für medizinisch orientierte Immunwissenschaften in Deutschland entwickelt. Eine Reihe von interessanten Resultaten ist bereits aus diesen Forschungen entstanden, einige werden Ihnen in diesem Heft vorgestellt. Dabei soll es aber nicht bleiben: die Forschungsgruppen bereiten derzeit einen Antrag der Charite auf Förderung als Exzellenz-Cluster im Rahmen der Bundesförderprogramme vor und streben darüber hinaus das Zustandekommen eines schwergewichtigen Berliner Zentrums für Neue Immuntherapien an, in dem dauerhaft und mit der nötigen Breite an diesem wichtigen Thema, zum Nutzen der Patienten, geforscht werden kann.
Drücken Sie die Daumen, dass daraus etwas wird.
Ihr
Alf Hamann