BM-2011-1-Busse
Stroke Units in Deutschland:
Optimale Versorgung nach einem Schlaganfall
Otto Busse und Peter U. Heuschmann, Berlin
Mehr als 70 % der Schlaganfallpatienten erreichen die Klinik zu spät, um mit einer Thrombolyse behandelt zu werden. Hierbei lösen Ärzte das Blutgerinnsel im Gehirn, das den Schlaganfall verursacht hat, medikamentös auf. Die Therapie darf jedoch nur in den allerersten Stunden nach Auftreten der Schlaganfallsymptome zum Einsatz kommen. Wichtig ist daher, Warnsignale zu erkennen und umgehend den Rettungsdienst mit der Nummer 112 zu rufen. Doch dies bleibt oft aus. Denn noch immer wissen viele Menschen zu wenig über Symptome und die richtige Handlungsweise bei einem Schlaganfall. Welche Warnsignale auf einen Schlaganfall hinweisen und wie Betroffene und Angehörige reagieren sollten.
Stroke Units sind Schlaganfallspezialstationen zur Akutbehandlung von Schlaganfallpatienten durch ein interdisziplinäres, speziell geschultes Team. Dort werden Schlaganfallpatienten rund um die Uhr in kürzester Zeit mit dem heute erforderlichen technischen Aufwand und der notwendigen fachlichen Expertise versorgt. Sie sind das Kernstück der Schlaganfallversorgungskette, die von der Aufklärung und frühen Prävention des Schlaganfalls bis zur Nachsorge betroffener Schlaganfallpatienten reicht.
Der Aufbau von Stroke Units in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte
Der Aufbau von Stroke Units in Deutschland in den letzten 15 Jahren ist eine Erfolgsgeschichte. Im Gegensatz zu schon länger bestehenden Stroke Units, vorwiegend in Skandinavien und Großbritannien, mit überwiegend rehabilitativer Ausrichtung liegt der Schwerpunkt der deutschen Stroke Units im Monitoring der vitalen Parameter innerhalb der akuten, oft instabilen Phase des Schlaganfalls. Das deutsche Stroke-Unit-Modell ist deshalb durch den personalen und apparativen Aufwand zwar kostenintensiver, aber auch effizienter. Aus diesem Grunde wird die adäquate Akutversorgung auf der Schlaganfallstation im DRG-System vergütet. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Stroke Units in der Lage sind, die Sterblichkeit und das Ausmaß der Behinderung nach einem Schlaganfall zu reduzieren.
Das Zertifizierungsverfahren für Stroke Units der DSG
Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft hat ein Zertifizierungsverfahren für Stroke Units entwickelt, wobei die Unterteilung in regionale und überregionale Stroke Units weniger einer Regionalisierung der Schlaganfallversorgung entspricht, sondern einer Unterscheidung nach dem Leistungsangebot und den personellen Ressourcen. Definierte Standards sollen nicht nur für die Patienten, sondern auch für die gesamte Gesundheitspolitik und die Kostenträger gewährleistet sein. Ein politisches Mandat für die Zertifizierung existiert noch nicht, allerdings sind die von den Sozialministerien anerkannten Schlaganfalleinheiten in der überwiegenden Mehrzahl identisch mit den zertifizierten Stroke Units.
Etwa 60 bis 70 % aller Patienten mit einem akuten Schlaganfall werden in Deutschland in circa 180 Kliniken mit einer zertifizierten Stroke Unit versorgt. Noch immer aber werden viele Schlaganfallpatienten hierzulande in kleineren neurologischen und internistischen Abteilungen ohne zertifizierte Stroke Unit behandelt. Um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, sind weitere Stroke-Unit-Betten erforderlich – im Idealfall in bereits bestehenden Stroke Units, um die Schlaganfallexpertise zu bündeln. Darüber hinaus definiert die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft derzeit Kriterien für sogenannte interdisziplinäre neurovaskuläre Zentren als Versorgungsstruktur mit überregionaler Zuständigkeit, in der alle Patienten mit Hirngefäßerkrankungen, auch seltenen Entitäten, interdisziplinär auf höchstem Niveau und innovativ versorgt werden können. Die Stroke Unit wird naturgemäß auch hier ein zentraler Baustein sein.
Krankheitsbild Schlaganfall – Häufigkeit und Versorgungssituation in Deutschland
Der Schlaganfall ist eine häufige Erkrankung. Basierend auf derzeit verfügbaren epidemiologischen Daten ereignen sich in Deutschland jährlich circa 200 000 erstmalige Schlaganfälle. Somit erleidet durchschnittlich alle zwei bis drei Minuten ein Mensch in Deutschland einen erstmaligen Schlaganfall. Hinzu kommen noch schätzungsweise über 60.000 Menschen pro Jahr, die einen wiederholten Schlaganfall erleiden. Etwa die Hälfte aller Schlaganfälle ereignet sich nach dem 73. Lebensjahr. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung wird bei gleichbleibenden oder nur leicht sinkenden Neuerkrankungsraten die Anzahl der Schlaganfallpatienten in den nächsten Jahren kontinuierlich zunehmen. Es wird geschätzt, dass circa zwei bis fünf Prozent der gesamten Gesundheitskosten durch den Schlaganfall verursacht werden. In Deutschland ist der Schlaganfall eine der häufigsten Todesursachen mit circa 63.000 Todesfällen in der amtlichen Todesursachenstatistik (2008).
Qualität der Behandlung wird mittels standardisiert entwickelter Qualitätsindikatoren dokumentiert
Der Schlaganfall hat dramatische Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Drei Monate nach dem Ereignis weisen schätzungsweise 20 bis 25 % der Überlebenden nach Schlaganfall schwere Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens auf.
In Deutschland gibt es gute Daten zur akutstationären Versorgung von Schlaganfallpatienten. Diese Informationen werden durch die regionalen Qualitätssicherungsprojekte zum Krankheitsbild Schlaganfall bereitgestellt, die im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlaganfall-Register (ADSR) zusammenarbeiten. In diesen Qualitätssicherungsprojekten wird die Qualität der Behandlung mittels standardisiert entwickelter Qualitätsindikatoren dokumentiert und zwischen den teilnehmenden Einrichtungen verglichen. Nach den so erhobenen Daten erreichen circa 30 % aller Schlaganfallpatienten innerhalb der ersten drei Stunden nach dem Ereignis ein Krankenhaus. Die Anzahl der Patienten, die schnell in ein Krankenhaus eingewiesen werden, ist in den letzten Jahren in Deutschland jedoch relativ konstant geblieben. Die Anzahl der Patienten, die in Deutschland eine Thrombolysebehandlung zur Auflösung des Blutgerinnsels beim ischämischen Schlaganfall erhalten, nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Im Jahre 2008 erhielten circa 7 bis 10 % der in den regionalen Qualitätssicherungsprojekten dokumentierten Patienten mit Hirninfarkt eine Thrombolysebehandlung. Im Anschluss an die Akutbehandlung wird circa ein Viertel aller Schlaganfallpatienten zur Weiterversorgung direkt in die stationäre Rehabilitation entlassen. Zur weiteren Versorgung nach der Entlassung aus der Akutklinik oder aus der Rehabilitation gibt es derzeit nur relativ wenige Daten. Zukünftig sind deshalb mehr Informationen zur langfristigen Versorgung von Schlaganfallpatienten notwendig, um die Versorgung weiter zu verbessern.
Korrespondenzadressen:
Prof. Dr. med. Otto Busse
Generalsekretär der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft
Reinhardtstr. 14
D-10117 Berlin
geschaeftsstelle@dsg-berlin.org
Prof. Dr. med. Peter U. Heuschmann, MPH
Centrum für Schlaganfallforschung Berlin (CSB)
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
D-10117 Berlin
Peter.heuschmann@charite.de