BM-2011-1-Goeing
Eine unvollständige Zusammenfassung des 11. Kardiologie Symposiums des Sana Klinikum Lichtenberg und des Deutschen Herzzentrum Berlin
Aktuelle Trends in der Kardiologie
Olaf Göing
In kaum einer Disziplin werden so viele Studien veröffentlicht, die z. T. auch zu schnellen Änderungen von internationalen Leitlinien führen, wie in der Kardiologie.
Zudem verschmelzen kardiologisch-interventionelle Verfahren mit traditionell chirurgischen Verfahren, was zu Teambildungen und gemeinsam getroffenen Entscheidungen der beiden Disziplinen führt. Sowohl diagnostische als auch therapeutische Innovationen lassen es sinnvoll erscheinen, den Stellenwert neuer Medikamente und technischer Verfahren sowohl dem spezialisierten Publikum als auch allgemeinmedizinisch tätigen Kollegen durch ausgewiesene Experten zur Diskussion zu stellen.
Diesen Ansatz verfolgte nunmehr zum 11. Mal das gemeinsame Symposium des Sana Klinikum Lichtenberg und des Deutschen Herzzentrum im Hotel Intercontinental.
Trotz der hervorragenden Vorträge von PD Dechend, Prof. Pfeiffer und Prof. Tschöpe blieben Fragen aus der Thematik „Grenzbereiche von Diagnostik und Therapie bei Hypertoniepatienten“ z. T. offen, weil eindeutige Daten hierzu fehlen und allenfalls Hinweise existieren. Die Fragen, wie niedrig soll der Blutdruck in Spezialkollektiven (J-Kurven-Diskussion) sein und muss ein Manager mit interkurrenten Tageswerten von 170-180 mmHg und Ruhe- bzw. Nachtwerten von 100 – 120 mmHg behandelt werden, seien beispielhaft zitiert.
Wertigkeit des Koronar-CT, insbesondere für das akute Koronarsyndrom
Kontrovers wurde der Vortrag von PD Möhlenkamp über die Wertigkeit des Koronar-CT, insbesondere für das akute Koronarsyndrom, diskutiert. Den sehr positiven Erfahrungen aus dem Universitätsklinikum Essen standen die Fragen über die möglicherweise zu häufige und nicht zielführende Nutzung, insbesondere bei „Intermediärbefunden“ gegenüber. Hier sind die Bücher noch nicht geschlossen.
Zweifelsfrei hat auch die Echokardiographie mit dreidimensionaler Analytik (auch in der TEE) enorme Fortschritte gemacht, wozu insbesondere das Verfahren des Speckle Tracking beigetragen hat. Dieses auf verschiedene Arten objektivierbare und reproduzierbare Verfahren der Wandbewegungsanalyse kann insbesondere in der Frage der Ischämiediagnostik helfen, kranke Patienten zu identifizieren und Behandlungserfolge zu dokumentieren. Es wird erwartet, dass die Bedeutung dieses Verfahrens wachsen wird. PD Fehske, Köln, untersuchte dabei Live einen Patienten, der am nächsten Tag einer Live-Koronarangiographie und fraktionellen Flussreservebestimmung (FFR) bzw. OCT (Optical Coherence Tomographie) -Evaluierung unterzogen wurde.
Prof. Schauerte, Universitätsklinikum Aachen, zeigte einen Algorithmus, um zu diskriminieren, welcher Patient mit Herzschwäche eine „Schockbox“ und welcher einen komplexen Defibrillator mit Synchronisationsfunktion zur Besserung der Herzleistung bekommen soll. Gleichzeitig betonte er, dass sich eine „Device-Optimierung“ in den nachfolgenden Sprechstunden lohnen kann und man daher nicht darauf verzichten sollte.
PD Piorkowski lieferte eindrucksvolle Beispiele dafür, dass die Ablation nicht nur Therapie für medikamentöse Versager und Vorhofarrhythmien, sondern insbesondere in bedrohlichen Situationen von Kammertachykardien einzige Option, oft auch bei ICD-Trägern, sein kann.
Frau Prof. Strasser stellte neue Studienergebnisse zur Herzinsuffizienztherapie vor und beantwortete die Frage, ob die aktuellen Leitlinien bereits veraltet sein, zumindest mit einem „teilweise ja“.
Das Projekt LOCIMAN
Die erste Sitzung wurde von Prof. Hetzer abgeschlossen: Herzunterstützung beim älteren Patienten. Das DHZB hat sich der Herausforderung gestellt, das biologische Alter in den Vordergrund des Entscheidungsprozesses zu stellen. Und es sind verblüffende Wege gefunden worden. Nicht nur die passagere Hilfe in scheinbar ausweglosen Situationen war thematisch gemeint. ICD und Defibrillatoren helfen nur bei noch ausreichend kontraktiler Reserve. Spenderherzen sind für alte Menschen nicht verfügbar. Das von Prof. Hetzer initiierte Projekt LOCIMAN steht für Linksherzversagen, Obstruktion der Coronarien, Ischämische Mitralklappeninsuffizienz und linksventrikuläres ANeurysma.
Eine der vorgestellten Behandlungslösungen bei gleichzeitigem Rechtsherzversagen ist das totale, dauerhaft implantierte „Kunstherz“ durch Modifizierung eines Linksherzsystems auf Rechtsherzdruckverhältnisse. Prof. Hetzer stellte erste Erfahrungsberichte an Patienten vor, die mit derartigen Systemen versorgt wurden.
Interventioneller Höhepunkt war die Konferenzschaltung aus Lichtenberg und dem Hybrid-OP des DHZB, wo eine Valve in Valve Prozedur bei degenerierter Aortenklappe in Spannung versetzte, weil aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Hämodynamik ein Umschalten aus der Live-Übertragung aus Lichtenberg geboten war. Die abschließend dokumentierte Klappenposition und die stabilen Druckwerte sowie der fehlende Nachweis einer „unerwünschten“ Klappeninsuffizienz unterstrichen die Wertigkeit des Verfahrens bei Hochrisikopatienten, die früher deswegen oft nicht oder nur mit hohem Risiko operiert wurden.
Die hochauflösende intrakoronare Darstellung mittels OCT-Kathetern
Neben komplexen Liveprozeduren gab es auch Innovationen, die aus Lichtenberg live (die hochauflösende intrakoronare Darstellung mittels OCT-Kathetern, die insbesondere in der Ära sich auflösender Stents an Bedeutung gewinnen wird) geschaltet oder vor Ort gezeigt wurden.
Hierzu gehörten ein Midsize-Display von Siemens (weltweit einziges Gerät dieses Formats) an dem Siemens und das Sana Klinikum eine Studie durchführen. Vorteil der frei kombinierbaren Farbdisplay-Darstellung ist die Variabilität, sich die jeweils meist interessierenden Loops oder Livebilder vergrößert und geeignet nebeneinander legen zu können. (Laevokardiographie neben Echokardiographie, IVUS-Katheter neben Koronarszene, FFR fokussiert, Referenzbild groß oder klein an beliebiger Position neben 3 D-Rekonstruktion und Quantifizierung etc., siehe Abb. 4).
Eine weitere, noch nicht „kaufbare“ und nur einmalig bei Siemens verfügbare Innovation ist die Koregistrierung von IVUS und Koronarangiographie (siehe Abb. 3).
Der Vorteil: man weiß bei längerstreckigen Läsionen genau in welchem Koronarsegment sich die gerade im Intravaskulären Ultraschall zu sehende Problematik (Stenose, Dissektion, Malapposition etc.) befindet. Diese Kooperation von Siemens Healthcare und Volcano ist ebenfalls ein Prototyp, der derzeit nicht käuflich zu erwerben ist, aber vom Panel, das um Prof. Schultheiss, Charité und Prof. Silber, Herzklinik München, erweitert war als außerordentlich nützlich angesehen wurde.
Den Abschluss bildeten drei Themenkomplexe:
Neue Thrombozytenaggregationshemmer, die es schon vor Verfügbarkeit durch Zulassung in die europäischen Leitlinien geschafft haben (Ticagrelor neben Prasugrel), sowie die Frage, ob durch neue Antikoagulantien (Rivaroxaban, Dabigatran) mit guten Studienergebnissen und einfacherer Handhabung Marcumar und Falithrom ausgedient haben werden. Antwort von Prof. Moser, Universität Freiburg: Wenn der Preis stimmt für einige Indikationen (Behandlung der TVT und Vorhofflimmern) wahrscheinlich ja.
Und was ist das mit dem Heart Team? Diese Frage wurde nach der ESC-Leitlinienvorstellung 2010 durch Prof. Silber von Prof. Schultheiss und von Prof. Walther, Kerkhoff Klinik Bad Nauheim für den chirurgischen Part gewollt kontrovers aber abschließend konsensuell beantwortet. Die sich aus der Syntax-Studie (PCI vs. Bypass bei koronarer Hauptstamm- bzw. Mehrgefäßerkrankung) ergebenden Ergebnisse zeigen Unterschiede, die sich am sog. Syntax-Score festmachen lassen. Unabhängig davon, wer bei welchem Score- Wert der vermeintlich bessere Ansprechpartner sein sollte, besagt die Leitlinienvorgabe aber eines: Man (Kardiologe und Herzchirurg) muss, im Interesse des Patienten miteinander sprechen und der Patient hat die Möglichkeit zu erhalten, nach Ablage vom Kathetertisch ein Für und Wider abzuwägen. Ad hoc Entscheidungen in komplexen Fällen sind nunmehr auch per Leitlinie obsolet.
Gibt es hierauf eine praktische Antwort für Kardiologen, mit dieser neuen Situation umzugehen?
Das Deutsche Herzzentrum und das Sana Klinikum Lichtenberg haben sie bereits live präsentieren können: Die Videokonferenz, 24 Stunden an 365 Tagen.
Dem großen Zuspruch des Symposiums folgend, 550 Teilnehmer am Freitag und 600 am Samstag, gibt es eine Beschlussfassung. Am 20. und 21. Januar 2012 folgt das 12. Gemeinsame Kardiologie-Symposium.
Für die wissenschaftlichen Leiter:
Dr.med. Olaf Göing
Sana-Klinikum Lichtenberg
Oskar-Ziethen-Krankenhaus
Klinik f. Innere Medizin II
Fanningerstr. 32
D-10365 Berlin