BM-2011-2-Boecken

Informationsgewinnung in der Reisemedizin
Gerhard Boecken

Die Versorgung von Patienten vor und nach der Reise ist die Kernaufgabe der Reisemedizin. Für diese Betreuung sind neben spezifisch medizinischem Wissen ständig aktuelle und umfassende Kenntnisse über die gesundheitlichen Risiken in den Reiseländern erforderlich. Art und Umfang der erforderlichen Informationen und Wege, diese möglichst aktuell, valide und zeitnah zu erhalten, sind Thema dieses Vortrages.

Zuvor sind einige Begriffsbestimmungen hilfreich: Die Sammlung, Auswertung und Verteilung von einsatzrelevanten, medizinischen / sanitätsdienstlichen Daten wird im militärischen Sprachgebrauch „Medical Intelligence“ genannt. Im zivilen Sprachgebrauch wäre der Begriff Informationsgewinnung synonym zu sehen, also die Sammlung und Auswertung offen zugänglicher Daten (open source intelligence), so dann auch das Thema dieses Vortrages. Der Begriff Informationsbeschaffung ist militärisch besetzt und bedeutet die Sammlung und Auswertung nicht offen zugänglicher Daten durch nachrichten- / geheimdienstliche Methoden. Instrumente der Informationsgewinnung sind z. B. die „Surveillance“ was bedeutet, dass durch kontinuierliche Auswertung und Interpretation systematisch gesammelter Daten zu Erkrankungen,eine infektionsepidemiologische Auswertung von Trends bezüglich Zeit, Ort und Personen erfolgt. Dies wird zumeist durch staatliche Stellen in den Ländern, für Deutschland z. B. durch das Robert-Koch-Institut sichergestellt. Die Infektionsepidemiologie ist dabei die Lehre von den Einflussfaktoren und der Verbreitung von Infektionskrankheiten auf resp. in definierten Populationen sowie ihrer Prävention und Bekämpfung.

Um eine optimale Informationsgewinnung in Dichte und Tiefe sicherzustellen, sollten zwei
Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Das Ziel, der Zweck, der Verlauf, die Zeit – und die Dauer der Reise sollten bekannt sein. So macht es für die Beratung einen Unterschied, ob es sich um eine Urlaubs- oder Geschäftsreise, ob es sich um Migranten (Visiting Friends and Relatives – VFR) oder Langzeitausreisende (wichtig für den Gesundheitsdienst des AA) handelt, oder ob Katastrophenhelfer/innen betreut werden.
2. Der Arzt sollte umfassend über den Patienten sowohl im Rahmen der reisemedizinischen Betreuung vor der Reise als auch bei der Diagnostik und Behandlung bei Erkrankung nach der Reise informiert sein (Herkunft, Vorerkrankungen, Impfstatus, Unverträglichkeiten etc.).

Welche Informationen werden benötigt? Zunächst sind die Daten zur regionspezifischen Inzidenz und Prävalenz von Infektions- und Tropenkrankheiten sehr wichtig, welche Erkrankungen kommen im Reiseland vor, wovor kann ich folgerichtig den Reisenden schützen. Dazu benötigen wir z. B. die regionspezifische Prophylaxeeffektivität und Informationen über Resistenzen gegen Medikamente. Interessant ist in dem Zusammenhang weiter die Vektorepidemiologie, welche Überträger gibt es, sind die Reservoire bekannt und welche giftige Fauna und Flora kann dem Reisenden gefährlich werden. Informationen über Tierseuchen und daraus evtl. resultierenden Zooanthroponosen sollten vorliegen. Zu einer umfassenden Lagebeurteilung gehören darüber hinaus die Daten über die Leistungsfähigkeit der Gesundheitssysteme und die Versorgungsmöglichkeiten in den Zielländern. Für eine Beratung wichtig sind auch Informationen über natürliche und artifizielle Umweltfaktoren wie das Klima oder Schadstoffe in der Umwelt, eventuell sogar und gerade aktuell, atomare sowie biologische bzw. chemische Bedrohungen.

Was soll mit den gewonnenen Informationen erreicht werden?
Mit den Informationen wird eine individuelle Gefährdungsanalyse für den Patienten erstellt, um so durch Warnung, Vorsorge und Vorbereitung Probleme, wie eine Erkrankung auf der Reise oder durch die Reise zu verhindern oder bei vorbestehender Erkrankung eine Verschlimmerung dieser zu vermeiden.

Dem Patienten sollen Informationen über die Versorgungsmöglichkeiten im Notfall oder bei Erkrankung an die Hand gegeben werden und er sollte über Versicherungen und ggf. eine Reiseapotheke in diesen Zusammenhang informiert sein. Es soll verhindert werden, dass der Reisende Probleme bei der Ein- und Weiterreise bekommt (z. B. Umsetzung der internationaler Gesundheitsvorschriften).

Ausbrüche von Erkrankungen jeder Art sollten rechtzeitig erkannt und ggf. die Öffentlichkeit informiert werden (Aspekt Reise- und Sicherheitshinweise des AA). Letztendlich soll die Einschleppung von Erkrankungen nach Deutschland verhindert und bei Erkrankung nach Rückkehr auf Basis der infektionsepidemiologischen Lage die korrekte Diagnostik und Therapie eingeleitet werden können.

Wie können die für diese unterschiedlichen Fragestellungen benötigten Informationen gewonnen werden? Dies wird im Vortrag exemplarisch an Hand konkreter Beispiele dargestellt. Der weitaus größte Teil der Informationsgewinnung läuft über das Internet. Ein schneller Internetzugang ist die Basis jeder reisemedizinischen Medical Intelligence.

Daneben sind einige wesentliche „offline“-Quellen wie Printmedien und Periodika zu nennen. Ganz wichtig ist aber letztendlich auch die persönliche oder institutionalisierte weltweite Vernetzung  eines  jeden reisemedizinischen Beraters oder einer Beratungsstelle. Dieses Netzwerk wächst im Laufe der Berufstätigkeit, auch durch eigene Reiseerfahrungen oder medizinische Arbeitsaufenthalte in den Tropen. Persönliche Erfahrungen in den Reiseländern mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen („Human Intelligence“) machen jede Beratung noch glaubwürdiger.

Korrespondenzadresse:
Dr.med. Gerhard Boecken
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Nouvelle Route Bastos, Bastos Usine
B.P. 1160
Yaoundé, Kamerun
gerhard.boecken(at)diplo.de