BM-2011-2-Lucius

Parasiten: Werden wir manipuliert?
Richard Lucius

Pathogene können einen Wirt nur erfolgreich besiedeln, wenn es ihnen gelingt, die gegen sie gerichteten Immunantworten auszuschalten oder zu umgehen. Während Viren und pathogene Bakterien sich dank der Flexibilität ihrer Genome sehr schnell verändern und ihren Wirten anpassen können, haben parasitische Würmer diese Fähigkeit nicht. Die Komplexität ihrer Genome und die Langsamkeit ihrer Vermehrung zwingt sie zu eine anderen Strategie: Anstatt sich selbst zu verändern, verändern sie ihren Wirt. Die Parasitologie kennt zahlreiche Beispiele dafür, wie Helminthen das Verhalten ihrer Wirte oder die Architektur von Zellen und Geweben verändern. In den letzten Jahren häufen sich aber auch die Nachweise für sehr gezielte Eingriffe von parasitischen Würmer in das Immunsystem ihrer Wirte. Mit dieser Manipulation sichern die Parasiten ihr Überleben und können ihre Wirte optimal ausnutzen. Die zugrunde liegenden Mechanismen könnten sogar eine Anwendung finden, um pathologische Immunantworten herabzuregulieren.

Parasiten können die Ausprägung allergischer Erkrankungen beeinflussen

Klassische diagnostische Marker für Wurminfektionen sind hohe IgE-Spiegel und eine ausgeprägte Eosinophilie. In der Parasitologie war darüber hinaus schon lange bekannt, dass bei Individuen mit bestimmten Wurminfektionen die T-Helferzellen in Richtung des Th-2 Typs polarisiert sind und weniger stark proliferieren, wenn sie mit Antigenen oder Mitogenen stimuliert werden. Für die breitere Öffentlichkeit wurde dieses Thema jedoch erst interessant, als nachgewiesen wurde, dass bestimmte Wurminfektionen die Ausprägung allergischer Erkrankungen beeinflussen können. In wegweisenden Studien wurde gezeigt, dass Personen mit Schistosomeninfektionen signifikant schwächere Hautreaktionen gegen Hausstaubmilben-Allergen aufweisen und dass die Entwurmung von Schulkindern im zentralafrikanischen Staat Gabun zu einer Zunahme von Hausstaubmilbenallergie führte. Die entzündungshemmende Wirkung von Rundwürmern wurde von einer amerikanischen Gruppe in ein neues Behandlungsprinzip umgesetzt: Der Gastroenterologe Joel Weinstock von der Tufts University in Boston verabreichte Patienten mit chronischen Darmentzündungen Eier des Schweine-Peitschenwurmes Trichuris suis. Die aus diesen Eiern schlüpfenden Rundwürmer sind spezifisch an das Schwein angepasst. Im Darm des Menschen setzen sie zwar immunmodulierende Stoffe frei, sterben aber nach kurzer Zeit ab, ohne Nachkommen zu produzieren. In zwei Publikationen, die 2005 erschienen, wies die Gruppe von Weinstock eine dramatische Verbesserung der entzündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn bzw. die vollständige Heilung dieser Leiden bei vielen Patienten nach, die mit mehrfachen Gaben von Trichuris suis behandelt wurden. Mittlerweile werden die Wurmeier nach Standardprozeduren hergestellt und in mehreren klinischen Studien geprüft.

Zusammenhang zwischen Wurmbefall und immunologischer Erkrankungen

Experimente in Mausmodellen unterstützen diese Befunde nachdrücklich. Zahlreiche Arbeitsgruppen haben mittlerweile den Zusammenhang zwischen dem Befall von Mäusen mit unterschiedlichsten Würmern und der Ausprägung immunologisch bedingter Erkrankungen untersucht. Es stellte sich heraus, dass Infektionen mit bestimmten Würmern vor verschiedenen Krankheiten schützen, die durch Entzündungsprozesse bedingt sind. Dazu gehören unter anderem Allergien, Darmentzündungen, Gelenkentzündungen und Entzündungen der Magenschleimhaut. Sogar bei einem Krankheitsbild der Maus, das Parallelen zu multipler Sklerose aufweist, milderten Wurminfektionen die Symptome.

Bei genauerer Betrachtung sind allergische Reaktionen Mechanismen, die Säugetiere zur Abwehr parasitischer Würmer entwickelt haben. Unter diesem Blickwinkel erscheint es plausibel, dass Helminthen Allergien unterdrücken, weil sie sich dadurch vor gefährlichen Immunantworten schützen könnten. Hier stellt sich die Frage nach den Mechanismen. In unserer Arbeitsgruppe bearbeitete Frau PD Dr. Susanne Hartmann dieses Thema am Beispiel von Filarien, d. h. Nematoden, die im Gewebe ihrer Wirte leben und Tropenkrankheiten wie Onchozerkose (= Flussblindheit, verursacht durch die Filarie Onchocerca volvulus) oder Elephantiasis (verursacht durch Wuchereria bancrofti oder Brugia malayi) hervorrufen. Die geschlechtsreifen Würmer dieser Arten können über 10 Jahre im Gewebe ihrer menschlichen Wirte leben, ohne dass sie von deren Immunsystem eliminiert werden. In der Haut oder im Blut dieser Patienten warten mehrere Millionen Larven, die Mikrofilarien, darauf von blutsaugenden Insekten aufgenommen und auf einen weiteren Menschen übertragen zu werden. Bei Filarieninfektionen sind zwar IgE und Eosinophile stark erhöht, die Endstufe der allergischen Reaktion bleibt den meisten Patienten jedoch aus. Man nimmt deshalb an, dass gut an ihre Wirte angepasste Parasiten wie Onchocerca volvulus diese Entzündungsreaktionen sehr gezielt unterbinden. Auffällig ist, dass Patienten mit sehr hohen Mikrofilariendichten meist relativ wenige Entzündungsreaktionen aufweisen, während Menschen mit geringer Anzahl dieser Larvenstadien eher eine Tendenz zu starken Immunreaktionen der Haut haben.

Cystein-Proteaseinhibitoren hemmen proteinabbauende Enzyme

Erste Hinweise auf den Mechanismus dieser gezielten Manipulation von Immunantworten ergaben sich aus Studien, in denen Ausscheidungsprodukte der Nagetierfilarie Acanthocheilonema viteae untersucht wurden. Dieser Wurm lebt im Unterhautbindegewebe von Wüstenrennmäusen und wird durch den Stich von Zecken übertragen. Isoliert man diese Würmer aus dem Gewebe des Wirtes, kann man sie über mehrere Tage in Zellkulturmedium halten. Überstände aus diesen Kulturen hemmten die Teilung von Leukozyten der Maus sehr effizient. Die Analyse der Kulturüberstände führte zu einem relativ kleinen Protein, das aufgrund bestimmter Strukturmerkmale als Cystein-Proteaseinhibitor (Cystatin) identifiziert wurde. Diese Substanzen hemmen proteinabbauende Enzyme. Das Filariencystatin wurde in Bakterien als rekombinantes Protein hergestellt und konnte Proteasen hemmen, wies zusätzlich aber noch andere Eigenschaften auf. In vitro-Tests zeigten, dass Filariencystatin den Phänotyp von Makrophagen verändert, sodass diese das hemmende Zytokin IL-10 produzierten. In einem Mausmodell war Filariencystatin in der Lage, allergische Reaktionen gegen das Protein Ovalbumin drastisch zu hemmen, wobei Makrophagen und IL-10 eine Schlüsselstellung zukam.

Das Neue an diesen Experimenten: Es konnte gezeigt werden, dass nicht nur eine Infektion mit lebenden Würmern Allergien verhindern kann, sondern auch die Applikation eines einzelnen, rekombinant hergestellten Proteins. Diese Hemmung scheint so spezifisch zu sein, dass das Immunsystem nicht großflächig beeinträchtigt wird wie im Fall vieler klinisch eingesetzter Immunmodulatoren. Rekombinantes Filariencystatin unterdrückte in weiteren Experimenten in der Maus aber nicht nur asthmaähnliche Symptome, sondern auch Hautallergien und Darmentzündungen. Damit ist zu erwarten, dass dieses Protein eine breite entzündungshemmende Wirkung hat. Weitere Arbeiten müssen jetzt zeigen, über welche molekularen Kontakte Cystatin an Makrophagen bindet und welche Signale es dort auslöst. Mit solchen Informationen könnte man den Wirkmechanismus besser erklären und das Molekül für pharmazeutische Zwecke optimieren. Ein solches Produkt könnte das Immunsystem in einen Zustand versetzen, wie ihn parasitische Würmer erreichen, ohne jedoch die unangenehmen Begleiterscheinungen von Wurminfektionen zu haben.

Diese Arbeiten aus dem Lehrstuhl für Molekulare Parasitologie zeigen, dass parasitische Würmer neben ihren vielen unangenehmen Eigenschaften auch eine positive Seite haben: Sie beruhigen das Immunsystem und können vor allergischen und entzündlichen Erkrankungen schützen.

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Richard Lucius
Lehrstuhl für Molekulare Parasitologie
Philippstraße 13, Haus 14
10115 Berlin
richard.lucius(at)rz.hu-berlin.de
www.biologie.hu-berlin.de/molpara

Literatur

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3. Schnöller C, Rausch S, Pillai S, Avagyan A, Wittig B, Loddenkemper C,
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