BM-2011-2-Schlaich
Schiffsärzte auf Passagierschiffen:
Ein breites Tätigkeitsfeld mit vielfältigen Anforderungen*
* Abdruck in Auszügen aus: Schlaich C, Gerdts K, Lammeding T, Riemer T, Schepers B: FTR 2010; 17 (4): 174-179
Noch nie hat es so viele und so große Passagierschiffe gegeben wie heute. Mit dem Boom in der Kreuzfahrtindustrie hat die Medizin auf See in den letzten 25 Jahren einen entscheidenden Wandel erlebt. Viele Kreuzfahrtlinien haben den Standard ihrer medizinischen Ausrüstung und Versorgung an Bord deutlich gehoben. So bieten zum Beispiel manche Reedereien Hämodialyse an Bord an. In Zeiten großer Kapazitäten in der Kreuzfahrtindustrie ist die medizinische Versorgung an Bord auch ein Wettbewerbsvorteil. Kreuzfahrten waren schon immer die bevorzugte Reiseform älterer Menschen und werden auch von Personen unternommen, die sich gesundheitlich nicht in der Lage sehen, andere Reisen zu machen.
Die Anforderungen an Schiffsärzte unterscheiden sich je nach Schiffstyp erheblich. Schiffsärzte können auf kleineren Schiffen in einem kleinen Behandlungsraum alleine nur auf sich gestellt oder auf Megalinern mit mehr als 8.000 Personen in einem großen Schiffskrankenhaus in einem Team von Ärzten und Pflegepersonal tätig werden. Inzwischen gehören diagnostische und therapeutische Verfahren wie Röntgenanlagen, Sonografiegeräte, Intermediate-Care- oder Intensivstationen und Operationsräume auf großen Kreuzfahrtschiffen zum Standard. Zwar behandeln auch Schiffsärzte vor allem das übliche hausärztliche Spektrum wie Erkältungskrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Rückenschmerzen, ergänzt durch Sonnenbrand, Schnittwunden und Seekrankheit, hinzu kommen jedoch Verletzungen, zahnärztliche Versorgung und Notfälle aus allen Fachgebieten. Schiffsärzte müssen auch bei chirurgischen und internistischen Notfällen in der Lage sein, eigenverantwortlich zu handeln. Der Schiffsarzt muss mit dem Kapitän häufig die folgenschwere Entscheidung zur Kursänderung oder Evakuierungsfällen und in der Abwägung von Kosten und medizinischen Risiken über klinische Erfahrung und Durchsetzungsvermögen verfügen.
In einer aktuellen Übersicht zu Unfällen und Verletzungen auf Kreuzfahrtschiffen aus dem Jahr 2010 wurde über 3 Jahre eine Inzidenz von 0,8 Verletzungen per 1000 Passagiertage gezählt. Von den insgesamt 663 Verletzungen wurden 12 % als schwer eingestuft. Häufigste Verletzungsart waren Wunden (42 %). Vor allem die unteren Extremitäten waren von den Verletzungen betroffen (43 %). Der ganz überwiegende Teil der Verletzungen konnte durch die Schiffsärzte an Bord versorgt werden, nur 2 % mussten landseitig hospitalisiert werden [1]. In einer Studie zu Krankheitshäufigkeiten auf Frachtschiffen unter Deutscher Flagge zeigte sich, dass 21 % aller Behandlungen durch den für die Krankenbehandlung zuständigen Schiffsoffizier durch übertragbare Krankheiten veranlasst waren [2].
Neben der individuellen Patientenversorgung müssen Schiffsärzte üblicherweise Aufgaben in der Schiffshygiene und Schiffssicherheit übernehmen. Übliche Aufgaben des Schiffsarztes an Bord von Schiffen sind:
• kurative Krankenversorgung der Besatzung und der Passagiere
• Koordination einer Weiterbehandlung an Land
• Indikationsstellung und Mitwirkung bei Evakuierungen
• Surveillance von Infektionskrankheiten an Bord
• Überwachung der Schiffshygiene (Hospital-, Trinkwasser-, Küchenhygiene)
• Überwachung der Qualität von Medizinprodukten (unter deutscher Flagge nach Medizinprodukteverordnung)
• Überwachung der Anwendung von Röntgenstrahlen (unter deutscher Flagge nach Röntgenverordnung)
• Kontrollmaßnahmen bei Infektionskrankheiten an Bord (Diagnostik, Desinfektion, Isolation und Quarantäne). Umsetzung der bordeigenen „Outbreak prevention and control“-Pläne
• Vorbereitung und Mitwirkung an den Schiffshygieneinspektionen der Gesundheitsbehörden nach den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO, des „Vessel Sanitation Program“ der CDC und anderer
• Meldung von Infektionskrankheiten an die Hafenbehörden mithilfe der Seegesundheitserklärung
• Durchführung von Impfungen bei der Besatzung und den Passagieren
• Durchführung von Drogen- und Alkoholtestungen bei der Crew
• Überwachung und Bestellung der Bordapotheke, einschließlich der Narkotika (unter deutscher Flagge nach Betäubungsmittelverordnung)
• Untersuchung und Beweissicherung bei Vergewaltigungen und sonstigen tätlichen Übergriffen
• Todesfeststellung und Mitwirkung an der Ausfuhr der Leiche in Kooperation mit den Hafengesundheitsbehörden
• Mitwirkungen an bordseitigen Sicherheitsübungen
Die Stellung des Schiffsarztes an Bord
Auch heute sind die Schiffsärzte üblicherweise dem Offiziersrang zugeordnet. Der Schiffsarzt untersteht direkt dem Kapitän, der diesem weisungsbefugt ist. In allen Maßnahmen, die über die unmittelbare Patientenbehandlung an Bord hinausgehen, muss der Schiffsarzt den Kapitän mit einbeziehen. Dies betrifft zum Beispiel die Meldung von Todesfällen und Erkrankungen an den Hafenärztlichen Dienst, die Weiterbehandlung an Land, die Evakuierung oder Repatriierung von Besatzungsmitgliedern. In Fragen der Schiffshygiene berät der Schiffsarzt den Kapitän, der für Entscheidungen, wie zum Beispiel die Reinigung und Desinfektion von Trinkwassertanks, letztendlich verantwortlich ist.
Qualitätsanforderungen an Schiffsärzte in Deutschland
Deutschland ist einer der wenigen Flaggenstaaten weltweit, der die Qualifikation von Schiffsärzten gesetzlich festlegt. Vor der Aufnahme der Tätigkeit als Schiffsarzt müssen gegenüber dem Hafenarzt die folgenden Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen werden (die Richtlinie mit Anlagen ist unter www.hamburg.de/hphc erhältlich):
• Eine mehrjährige klinische Weiterbildung bzw. Tätigkeit mit den Schwerpunkten Innere Medizin und Chirurgie. Bevorzugt wird besonders die Facharztanerkennung für Allgemeinmedizin, gegebenenfalls auch für Innere Medizin, Chirurgie, Anästhesiologie oder das Zertifikat „Maritime Medizin“
• Die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin oder die Fachkunde Rettungsmedizin sowie eine regelmäßige notfall- / intensivmedizinische Tätigkeit
• Fachkunde Strahlenschutz (wenn Röntgenanlage an Bord)
• Sonografiekenntnisse (wenn Sonografiegerät an Bord)
Darüber hinaus sollen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Versorgung von Notfällen aus anderen Fachgebieten, in der Reise- und Tropenmedizin und in der Schiffshygiene bestehen. Es müssen Englischkenntnisse und Seediensttauglichkeit nachgewiesen sein.
Schlussfolgerung
An Bord großer Kreuzfahrtschiffe sind die fachlichen und menschlichen Anforderungen an einen Schiffsarzt hoch. Für viele Ärzte ist ein Passagierschiff zumindest für eine begrenzte Zeit ein attraktiver Arbeitsplatz. Die Chancen auf eine Anstellung sind für qualifizierte Ärzte und Pflegepersonal gut, da die großen Reedereien ständig medizinisches Personal suchen. Dies gilt jedoch nur für Bewerber, die für einen längeren Zeitraum anheuern können bzw. zeitlich sehr flexibel sind für kurzfristige Einsätze und die Qualifikationsanforderungen erfüllen. So sind nach den deutschen Vorgaben fundierte klinische Kenntnisse des approbierten Arztes in Chirurgie und Innerer Medizin, Kenntnisse in der Schiffshygiene, Reise- und Tropenmedizin und Basiskenntnisse in Zahnmedizin, Augenheilkunde und anderen „kleinen Fächern“ notwendig. Bei entsprechender Geräteausstattung müssen Sonografiekenntnisse und Fachkunde im Strahlenschutz vorliegen. Neben der fachlichen Erfahrung muss der Schiffsarzt seediensttauglich sein, über Sprachkompetenz verfügen und in Notfallsituationen besonnen und eigenverantwortlich handeln. Er muss außerdem in der Lage sein, sowohl mit den Besatzungsmitgliedern als auch seinen Patienten ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sich in die Hierarchie des Schiffes einzupassen und darüber hinaus bereit sein, gesellschaftliche Aufgaben an Bord zu übernehmen. Vertragsgestaltung und Arbeitsplatz auf See können je nach Reederei sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Ärzte sollten sich vor dem Anheuern sehr genau über Vergütung und Abrechnung, die Qualität der Ausrüstung an Bord sowie den Verantwortungsbereich (z. B. zusätzliche Aufgaben als Besatzungsarzt und in der Schiffshygiene) informieren und insbesondere Fragen der Berufshaftpflicht klären. Die Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin und die „International Maritime Health Association“ bieten den Ärzten eine Plattform, sich weiterzubilden, sich fachlich auszutauschen und ihre Erfahrung in die Weiterentwicklung des Fachgebietes einzubringen. Aus Sicht der Schifffahrtsmedizin wäre es zu wünschen, dass die Reedereien die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Medizin auf See durch Kooperationen mit den maritimen Forschungsinstituten stärken.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Clara Schlaich, MPH
Hamburg Porth Health Center
Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin
Seewartenstr. 10
D-20459 Hamburg
clara.schlaich(at)bsg.hamburg.de
Literatur bei der Verfasserin