BM-2011-2-Sudeck
Seltene (und interessante!) Parasitosen
Hinrich Sudeck
Die Kenntnis seltener Parasitosen ist im Rahmen differenzialdiagnostischer Überlegungen insbesondere bei weit gereisten Patienten wichtig, – aber teilweise sind Parasiten auch schon per se interessant durch ihre besondere Lebensform, durch ungewöhnliche Zwischenwirte und charakteristische, teils auch abstruse Übertragungsweisen, Infektionswege und Lokalisationen im Menschen. Das Spektrum vor allem der interessanten und gar nicht immer seltenen Helminthen reicht von regional ganz begrenzt Vorkommenden bis zu weltweit, auch schon in Europa, verbreiteten Erregern.
Was heißt selten in diesem Zusammenhang?
Krankheiten, die in den Tropen selten sind oder nur regional umschrieben vorkommen und die nur selten nach Europa gelangen. Beispiel Ösophagostomiasis – Abb. 1 – 3. und Gnathostomiasis (Abb.4) Krankheiten, die in den Tropen und Subtropen nicht selten sind, aber kaum nach Europa importiert werden. Beispiel Schistosoma mekongi / japonicum Infektionen Seltene Manifestationen von (weit verbreiteten) Tropenkrankheiten (Abb.5) Krankheiten, deren Namen man nicht korrekt buchstabieren kann ohne nachzuschlagen? Beispiel Gongylonema pulchrum – Infektion der Mundhöhle (Abb.6,7) Krankheiten, die auch mein Freund und Lehrer Gerd Burchard erst einmal oder noch nie gesehen hat!
Die lange, teils schlecht definierte oder gar nicht wirklich bekannte Lebensdauer von Parasiten oder auch die Fähigkeit zur Auto-Re-Infektion, wie sie zum Beispiel für Strongyloides (Abb.8, 9) den Zwergfadenwurm, typisch ist, kann zu lebenslanger Infektion des Menschen führen oder zumindest zu Symptomen noch viele Jahre und Jahrzehnte nach Verlassen des Heimatlandes bei aus den Tropen und Subtropen immigrierten Patienten.
Einige typische Lebensspannen bzw. die Dauer der Infektion seien genannt:
Fasziolose 3-10? Jahre
Gongylonema 1-2 Jahre
Ösophagostomum 3-5 Jahre?
Armillifer 10 Jahre?
Schistosoma mekongi /japonicum 15 Jahre
Strongyloidiasis bis 50 Jahre
Wenn Parasiten auffällig werden, haben sie etwas falsch gemacht – entweder haben sie ihren Wirt so stark geschädigt, dass er erkrankt ist oder sie sind zum Beispiel in bildgebenden Verfahren sichtbar geworden durch Auslösung von entzündlichen Zuständen wie Abszessen oder Zellulitiden (Gnathostoma , Abb.10), Verkalkungen etc., die auch als Zufallsbefunde in Erscheinung treten können. Auch Wanderungsbewegungen können verdächtig sein (Loa Loa im Auge, Fasziola in der Leber, Larva currens der Haut (Abb.11) und der Eingeweide, Gongylonema in der Mundhöhle) und eine im Blutbild fassbare Eosinophilie ist häufig der erste Anstoß für eine Parasitendiagnostik. Parasitosen werden auch als Zufallsbefunde bei endoskopischen Untersuchungen gefunden – klassisches Beispiel ist eine Anisakiasis, die auf Grund ihrer unspezifischen Oberbauchbeschwerden gelegentlich bei der dann anberaumten Gastroskopie gefunden wird (Abb.12).
Hinweise auf eine seltene oder besondere Parasitose ergeben sich in erster Linie dann auch aus der ziselierten Anamnese des Patienten:
– Wo hat ein Immigrant seine Kindheit / Jugend verbracht?
– Welche Regionen hat ein Reisender berührt?
– Aufenthalt in Endemiegebieten seltener Erkrankungen?
– Was hat ein Reisender an Expositionsrisiken gehabt?
– Essen – roher Fisch, rohe Krustentiere, rohes Fleisch oder Kresse?
– Baden in Süßwasser ?
– Traditionelle Heilweisen / Medikamente – wie Schlangengalle ?
– Tierkontakte ?
Die Diagnostik seltener Parasitosen kann durch den Einsatz immunologischer Verfahren erfolgen: Das Vorliegen von Antikörpern gegen Nematoden, Zestoden, Trematoden kann ein Hinweis auf eine solche Infektion sein, aber auch im Rahmen von Kreuzreaktionen vorkommen; diese können aber ebenfalls hilfreich sein und Anlass zu weiteren direkten parasitologischen Untersuchungen sein: Der Stuhl nach Baermann untersucht kann eine Strongyloidiasis aufdecken, Gallensaftuntersuchungen auf Wurmeier eine Fasziolose offenbaren, eine Rektumbiopsie eine Schistosomiasis beweisen selbst bei makroskopisch unauffälliger Schleimhaut. Selbstverständlich müssen Präpatenzzeiten und regionales Vorkommen der Erreger beachtet werden: Die Suche nach Schistosomen-Eiern in der Schleimhaut ist sinnlos vor Ablauf von etwa 30 – 60 Tagen und eine Blasenbiopsie wird bei einem Brasilienrückkehrer kaum zur Diagnose führen, da S. haematobium dort nicht vorkommt, sondern nur der Darm von S. mansoni befallen sein kann. Auch die Vergesellschaftung von Erkrankungen miteinander ist ein zu beachtender Punkt: Nachweis einer Strongyloidiasis bei einem Immigranten aus Brasilien oder Asien muss die Suche nach einer evtl. gleichzeitig vorhandenen HTLV – I / II Infektion nach sich ziehen (Abb.13).
Befunde der direkten körperlichen Untersuchung oder aus bildgebenden und bioptischen Verfahren können ebenfalls wegweisend sein und pathognomonische Befunde liefern. Typische Verkalkungen werden bei Paragonimiasis und Zystizerkose oder auch Armilliferbefall gefunden. Der Augenhintergrundsbefund kann eine Zystizerkose (Abb.14) aufdecken, ein Knochenmarksaspirat eine chronische Trypanosomiasis zeigen, sonographisch erfassbare Abszesse kommen bei einer Ösophagostomiasis vor (Abb.15) und eine Larva currens ist ein Zeichen für eine Strongyloidiasis.
Fazit
Gute Kenntnis der sich immer wandelnden geografischen Epidemiologie, der Zwischenwirte und Übertragungsweisen und der klinischen Befunde erwirbt man sich als Tropenmediziner im Laufe vieler Jahre und nur aus der Kenntnis zahlreicher Fälle und Befunde. Daher sollten Patienten mit unklaren Symptomen auch noch nach langer Zeit nach einem Aufenthalt in einem (sub)tropischen Land einem tropenmedizinisch versierten Zentrum vorgestellt werden. Die genaue, auf Einzelheiten und Expositionsrisiken eingehende Anamnese ist meistens der Schlüssel zu differenzierteren (technischen) Untersuchungen und damit zur erfolgreichen Therapie.
Korrespondenzadresse:
Oberfeldarzt Dr. Hinrich Sudeck
Fachbereich Tropenmedizin
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
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D-22049 Hamburg
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