KM-2009-3-Editorial

Sektion
„Diskurse zur ästhetischen Medizin“

In ihrem nunmehr 30 Jahre währenden Erscheinen erfuhr die „Kosmetische Medizin“ jeweils zeitgemäße Veränderungen und Neuerungen – Douglas Grosse hatte diese im Editorial der Ausgabe 1.09 kurz skizziert. Das diesjährige Jubiläumsjahr bietet besonderen Anlass, in anschaulicher Weise das ausgewogene Gleichgewicht von Kontinuität und Wandel ihrer Identität in der Zeit zu reflektieren und als Standort zu dokumentieren.

Und so zeigt auch ihr gegenwärtiges Profil, dass sie stets eingebunden ist in das vorherrschende gesellschaftlich kulturelle Zeitgeschehen. Beispielhaft hierfür gelten die gelungene Integration eines auch internationalen wissenschaftlichen Beirats sowie die zunehmenden Publikationen von Autoren fast aller Kontinente. Diese repräsentieren die globalen als auch nationalen bzw. regionalen Entwicklungen von medizinischem Wissen und seiner Praxis. Desgleichen zeigen das gelungene neue Layout und die aktuell hinzugewonnene Organschaft der Arbeitsgemeinschaft Assoziierter Dermatologischer Institute e.V., dass die „Kosmetische Medizin“ mit der Zeit geht.

Aus diesem Grunde wird beginnend mit der folgenden Ausgabe die Sektion „Diskurse zur ästhetischen Medizin“ ins Leben gerufen. Denn die ästhetisch-medizinisch handelnden Ärzte zeichnet in besonderer Weise aus, dass sie ihr Tun stets auch in seiner Abhängigkeit von kulturell-sozialen und ethischen Wert- sowie Normorientierungen erkennen und deuten. Diese Zusammenhänge – so z.B. das jeweilige Menschen- bzw. Patientenbild – reflektieren sie umso mehr, als die  sogenannte „Schönheitschirurgie“ in einer Weise wie selten zuvor eine andere medizinische Fachdisziplin innerhalb der Ärzteschaft polarisiert.

Auch kultur- bzw. geisteswissenschaftlich und medizinethische Analysen sind vor allem um eine kritische Grenzbestimmung der ästhetischen Medizin bemüht: Ihre Widersacher sehen in kulturkritischer Absicht diese Grenze in einer höchst ambivalenten, ästhetisch (bio-)technisch normierenden „Körper-Manipulation“.

Die wohl schärfste Radikalisierung erfährt die ästhetische Medizin in der Vorhaltung, modische ZeitgeistProfiteure erzeugten durch sie eine neue Zivilisationskrankheit (d.h. „Schönheitswahn“, „Körperkult“, „Körper- Kapitalisierung“, „Skalpell für die Seele“ usf.). Statt das Konzept des  ‚autonomen Patienten‘ in aufklärerischer Hinsicht zu unterstützen, stilisierten und inszenierten diese wissentlich eine „brave new world“ (Aldous Huxley) von idealisierter Körperlichkeit.

Inwieweit ist diese These ernsthaft zu diskutieren oder aber z.B. jene ihr entgegenstehende, die die derart artifiziell erzeugten Körpercodes als eine behandelnde Reaktion bzw. reaktive Behandlung auf eine schon bestehende Zivilisationskrankheit diagnostiziert (so z.B. die Relation zwischen demographischen Prognosen und Anti-Aging-Behandlungen als vermeintlichem Infektionsschutz)?

Das Ziel der Sektion „Diskurse zur ästhetischen Medizin“ besteht daher in der Dokumentation bzw. Thematisierung einer Selbstverständlichkeit: ‚Natürlich‘ wissen die Ärzte um ihre kulturell-soziale Verantwortung, denn sie verstehen ihre ästhetisch-medizinischen Eingriffe freilich nicht als ‚Körper-Ingenieure‘ bzw. Baumeister des Körperlichen. Vielmehr begleitet ein hohes Maß an Selbstreflektion und Selbstpositionierung innerhalb des Gesellschaftlichen ihr Handeln. Und so soll diese Sektion ein Ort sein, an dem – entgegen einer Instrumentalisierung und Moralisierung wie beispielsweise durch die massenmedialen TV-Formate – in wissenschaftlich seriöser Weise die Wechselwirkungen zwischen ästhetischer Medizin und Gesellschaft bzw. Kultur – offen und manchmal sicherlich auch kontrovers – diskutiert werden.

Mit diesem Anliegen öffnet sich die „Kosmetische Medizin“ selbstverständlich den Argumenten und Erfahrungen der Befürworter und Skeptiker, zugleich allen medizinischen Fachrichtungen auf nationaler wie internationaler Ebene. Denn die Diskurse zur ästhetischen Medizin sind vielfältig, notwendig und reizvoll: so z.B. die Fragestellungen nach Körperidealbildern im internationalen Vergleich, nach typischen ästhetischen Eingriffen in Abhängigkeit von Alters-, Religions- oder Schichtzugehörigkeit, nach einem globalisierten Idealbild des Körpers (so soll ja bekanntlich das eurasische weltweit als das attraktivste bzw. ‚schönste‘ gelten), nach den konkreten ästhetischen Maßstäben der behandelnden Ärzte selbst und nicht zuletzt nach den Motiven bzw. Selbstversprechungen der Patienten.
Zum Start der Sektion Diskurse zur ästhetischen Medizin erscheint in der nächsten Ausgabe der aktuelle Diskursstand zu Pro & Contra aus der Perspektive einer Kultursoziologin. Im Folgenden werden dann Ärzte der verschiedensten Fachrichtungen selbst aus unterschiedlichen, zustimmenden oder auch
ablehnenden Sichtweisen argumentieren.

Hierin wünscht den Lesern viel Anregendes und Nachdenkenswertes

Iris Cremers, Dresden